Der Verein "Hilfe Direkt" veranstaltete einen "Nachmittag der Kulturen". Im Bild: Becky's Dancegroup. Foto: Michael Korte / WAZ FotoPool
Witten. Witten geht auf Weltreise: Klar, dass da vor allem die Kleinen aufgeregt sind.
In der Rudolf Steiner Schule, wo die Reise am „Nachmittag der Kulturen“ beginnen soll, können die Kinder kaum still sitzen. Nervös zappeln sie auf dem Perserteppich in der Mitte der Aula. Einige hauen auf ihre Trommeln und Klanghölzer, noch ehe es losgeht. Denn in aller Herren Länder soll sie kein fliegender Teppich entführen, sondern Musik.
Jung und Alt singen im Kanon laut mit
Tanzen, Trommeln und Singen steht bei der Benefizveranstaltung des Vereins „Hilfe Direkt“ im Vordergrund. Während Deutschland in dieser Woche seiner Wiedervereinigung gedachte, feierte man an der Billerbeckstraße die Einheit der ganzen Welt. Ob Israel, Arabien oder die Bundesrepublik: Aus jedem Land gibt es einfache Volkslieder. Diese will Antje Drechsler (45) mit ihrem Chor „Taft & Töne“ und dem gesamten Publikum singen. Nicht nur die Grundschüler auf dem Orientteppich sollen sie begleiten. „Die ganze Nachbarschaft soll mitmachen“, erklärt die Chorleiterin. Und das tut sie auch. Im Kanon singen Jung und Alt lauthals mit.
„Toll, wie sie das ganze Publikum unter einen Hut bekommen hat“, loben Brigitte Safo-Adu (72) und Marianne Dorn (62). Dass viele Kinder während des Singens lärmen und umherlaufen, stört die beiden Zuhörerinnen nicht. Der Nachmittag gehört vor allem den Kleinen.
„Hilfe direkt“ erhofft sich von der Veranstaltung Spenden. „Wir kümmern uns um Migranten, vermitteln ihnen Sprachkurse und Ärzte“, erklärt Vereinsvorsitzende Ute Kicka (55). Es ist die Solidarität unter Nachbarn, die sie vor allem motiviert. Ganz selbstverständlich bittet sie jemanden, eine alte Dame nach dem Konzert nach Hause zu fahren.
Die Räume der Rudolf Steiner Schule muten an diesem Tag orientalisch an. Überall sind Kerzen und Räucherstäbchen angezündet. Tische und Frauen sind mit bunten Seidentüchern geschmückt. Die Mädchen von „Belkizes Tanzgruppe“ klappern mit ihren Armreifen. „Die Atmosphäre in diesem kleinen Kreis hier ist toll, richtig gemütlich“, sagt Kamiar Mohammadi (31). Der junge Mann ist für das Benefizkonzert extra aus Dortmund gekommen. Besonders gefallen hat ihm der Auftritt von Dündar Bediri.
Der Volkshochschullehrer hat alte türkische Volkslieder gesungen und sich dabei e mit einer Baglama, einer Laute, begleitet. „Musik baut Brücken zwischen den Völkern“, sagt er. Hier in der Aula der Schule wird dies von der Hevener Nachbarschaft eindrucksvoll vorgelebt.
Cindy Riechau
aus: WAZ online am 4. Oktober 2012
unter: waz.de/witten finden Sie Bilder vonder Veranstaltung
Bericht über die Arbeit im Verein HILFE DIREKT e.V. in Witten
Ute Kiczka
"Mit einem Gruß fängt alles an"
"Legt Eure Arroganz den Randgruppen gegenüber ab
und Ihr werdet eine Bereicherung im Geiste erleben"
Paul, Wohnungsloser, Zitat aus der ZeitungPlatte, Obdachlosenzeitung
"Dem Stoff sich verschreiben,
Heißt Seelen zerreiben.
Im Geiste sich finden,
Heißt Menschen verbinden.
Im Menschen sich schauen,
Heißt Welten erbauen."
Rudolf Steiner: Wahrspruchworte: Finsternis, Licht, Liebe
Rudolf Steiner Verlag, 1978
Angewendet auf die Arbeit des gemeinnützigen Vereines HILFE DIREKT e. V. in Witten, im Ruhrgebiet.
Warum die Begegnung mit Menschen aus Randgruppen der Gesellschaft (so) förderlich für die eigene
Entwicklung sein kann.
"Dem Stoff sich verschreiben, heißt Seelen zerreiben."
Es gibt keine Menschen zweiter Klasse. Das mag sich selbstverständlich anhören. Haben Sie Bekannte,die ärmer sind als Sie – oder eventuell keine Zähne oder nur noch verrottete Bruchstücke im Mund haben? Armut macht nicht hübsch, besonders wenn sie schon lange andauert. Durch die äußere Hülle hindurch nach innen zu schauen, lohnt sich.
Der traurig-trostlose Blick eines bettelnden Menschen kann den Einkaufsbummel durchaus trüben. Dass wir einmal mehr, und dann wieder weniger davon verunsichert werden, ermöglicht uns, daran abzulesen, wie wir selbst gerade in der Welt stehen.
Michelangelo hat uns in einer Pieta ein wunderbares Bild gegeben, an dem wir uns im Hinblick auf das Mitleiden schulen können. Der verstorbene Waldorflehrer, Kunstkenner und Schauspieler Ferdinand Böcking hat uns als junge Erwachsene darauf hingewiesen. Die Pieta zeigt den verstorbenen Jesu nach der Kreuzabnahme, umgeben von Menschen, die in tiefer Verzweifelung stumm trauern. Maria, die Mutter Jesu, fällt in ihrer geraden, ernsten Haltung auf, ihr Blick ist konzentriert auf den Sohn gerichtet. Auf diese Weise schaut sie tiefer. Maria liebt, erkennt und wird getröstet.
Dem Mitleid sich hingeben, habe ich an mir als etwas Ungutes erlebt. Aus dem Mitleiden, das in einem immer wieder neu gesuchten Zusammenhang mit der Wirklichkeit steht, entspringt oft Ungeahntes und Freudiges.
Ein Wohnungsloser, (12 Jahre obdachlos), über dessen Schicksal eine ganze Stadt rätselte, konnte neue Wege gehen. Er lebt in einer kleinen, sehr gepflegten Wohnung und ist in jeder Weise "unauffällig" geworden. Bei Feiern tritt er als der best gekleidete Gast in Erscheinung. Alle, die auch heute noch, nach vielen Jahren, über ihn ins Gespräch kommen, sind ganz erfüllt von diesem Schicksal.
"Im Geiste sich finden, heißt Menschen verbinden."
Wir haben ein Augenmerk auf folgende Phänomene: in jeder Stadt gibt es auch Menschen, die zwar eine Wohnung haben mögen, sich aber nicht den ganzen Tag darin aufhalten können. Sie sind arbeitslos, verarmt, vereinsamt. Sie suchen die Gesellschaft anderer oder sitzen
allein irgendwo herum und fühlen sich durch das bunte Treiben ein wenig getröstet. In den meisten Städten droht ihnen ein Bußgeldbescheid, wenn sie z. B. an Bushaltestellen ohne "erkennbare Fahrabsicht" angetroffen werden. Schnell ist der Vorwurf des illegalen " Lagerns in Personengruppen" erhoben. Sitzmöglichkeiten, wie Bänke, werden vielerorts vonseiten der Stadtverwaltung abgeschraubt. Natürlich gibt es immer verschiedene Aspekte zu den Dingen, die sich ereignen. Aber ich schlage vor,die jeweiligen Ordnungsverordnungen der Städte einmal genauer anzuschauen oder das Gespräch mit Vertretern der Ordnungsämter zu suchen und nachzufragen, wie jeweils vorgegangen wird.
Wenn zum Beispiel, wie in den meisten Städten, um Geld gebettelt wird, ist dies als "aggressives Betteln" eingestuft und kann für den Betroffenen durchaus teuer werden. Hat der Bettelnde noch einen Hund, wird das als "Zuhilfenahme eines Hundes" eingestuft. Das klingt dann schon bedrohlich. Dass dieser Hund, wie in einem konkreten Fall nachweisbar, aus einem Tierheim stammt und die Wesensprüfung bestanden hat, ist dabei zweitrangig. In zwei konkreten Fällen konnten wir durch Widerspruch gegen Vorwürfe eines Ordnungsamts helfen. Mit einem Satz war die Angelegenheit erklärt und vom Tisch.
Warum wollen uns die Behörden in den Innenstädten vor Mitmenschen schützen, die um ein Almosen bitten. Wenn Sie bemerken, dass in unseren Einkaufspassagen kaum noch Bettler oder auch Straßenmusikanten zu finden sind, greift eine Ordnungsverordnung. Wie vor internationalen Veranstaltungen in manchen Metropolen, wird das Stadtbild bereinigt.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob man sich nicht anders verhalten muss, wenn man mit Menschen zu tun hat, die in Armut und Not leben. Eine wichtige Frage. Gefragt ist nur, wahrhaftig zu sein zu sich selbst und den anderen, wie sonst auch. Ein ehemaliger heroinabhängiger junger Mann, der unseren Verein oft aufsuchte, hat sich stets gefreut, wenn seine Schilderungen von uns zutreffend eingeschätzt wurden, - auch, wenn er aus seiner Sicht, Nachteile davon hatte. Im Klartext: wir haben seine Darstellungen relativiert, d. h. die dahinter liegende Absicht durchschaut und dies unmittelbar zum Ausdruck gebracht. So war es für ihn jeweils ein besonderes Erlebnis. Er wurde ernst genommen, und er konnte sich als Mensch respektiert fühlen.
Wir fanden einen alten Text, der sehr weit verbreitet ist, der die Lebenszusammenhänge unserer Arbeit sehr zutreffend beschreibt. Es ist Desiderata von Max Ehrmann:
Geh deinen Weg ruhig und gelassen durch all den Lärm und die Hast
und bedenke, welcher Frieden in der Stille liegen mag.
Sei mit allen Menschen soweit in gutem Einvernehmen,
als Du Dich selbst nicht verraten musst.
….
BehalteInteresse an Deinem eigenen Weg, wie bescheiden er auch immer sein mag.
Er ist ein wahrer Besitz im Wandel des Geschicks der Zeiten.
Sei vorsichtig bei Deinen Geschäften, denn die Welt ist voller List und Tücke.
Aber lass das Dich nicht blind machen für die Tugenden,
die es nun auch wirklich gibt.
Viele Menschen streben nach hohen Idealen und überall
ist das Leben vollerHeldenmut.Sei Du selbst.
Insbesondere täusche keine Zuneigung vor;
Sei auch nicht der Liebe gegenüber zynisch,
denn angesichts all der Dürre und all der Entzauberung,
ist sie unvergänglich wie das Gras.
Nimm freundlich den Rat der Alten entgegen und
lass die Dinge der Jugend mit Würde hinter Dir zurück.
Nähre die Kraft Deines Geistes, um so Dich zu stärken,
wenn plötzlich ein Unglück Dich trifft.
Aber bringe Dich nicht in Not durch düstere Vorstellungen.
Viele Ängste sind aus Mattigkeit und Einsamkeit geboren.
Neben einer gesunden Disziplin, gehe sanft mit Dir um.
Du bist ein Kind des Universums,
und dies nicht weniger als die Bäume und die Sterne.
Du hast ein Recht, hier zu sein.
Und ob es Dir klar ist oder nicht,
das Universum wird sich entfalten,
so, wie es vorgesehen ist.
Deshalb finde Deinen Frieden mit Gott, wie immer Du Ihn vorstellen magst.
Was immer Deine Mühen und Hoffnungen sein mögen,
im lärmenden Chaos der Zeit,halte Frieden mit Deiner Seele.
Mit all der Heuchelei, all den Mühen und den zerbrochenen Träumen,
dies istimmer noch eine wunderbare Welt.
Sei vorsichtig.Strebe danach, glücklich zu sein.
Diese Zeilen stammen aus der Feder des Amerikaners Max Ehrmann (1872-1945)
In der Übersetzung von Harald Kiczka, 2009
"Im Menschensich schauen, heißt Welten erbauen."
Ein großer Inhalt, den ich sicher nicht in seiner Tiefe erfasse. Dennoch muss ich oft an diese Zeilen denken, wenn ich durch die Straßen unserer Stadt gehe. Die Orte, an denen gute Begegnungen mit Menschen stattgefunden haben, strahlen für mich stets etwas Aufbauendes, Kraftspendendes aus. Wenn Menschen aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen ins Gespräch kommen, entsteht anscheinend eine gute Konstellation für solche Begegnungen. Das heißt, zeigt man Achtung vor dem jeweiligen Gegenüber, wie unangenehm das Erscheinungsbild oder die ungeschickten Äußerungen sein mögen,blickt man so hindurch durch den Schleier der äußeren Schicht all der erworbenen Attitüden und Reaktionsmuster, wird dies als Wohltat empfunden, und es wird unendlich viel, nicht rational beschreibbares, zurückgegeben. Oft wird etwas sichtbar, dass wir schlicht als das Gute im Menschen beschreiben würden. Es kann mit der Not und dem Elend zusammen in einer Brust leben.
Mit einem Gruß fängt es an
Wenn Sie einen Menschen jeden Tag vor dem Supermarkt Ihres Viertels sehen, grüßen Sie sie oder ihn doch einfach mal, weiß man doch, wie viel Freude ein solcher einfacher Gruß bewirken kann. Im Laufe der Zeit bin ich recht beharrlich im Grüßen geworden. Eine einsame Frau, die viel draußen saß und Texte schrieb, konnte ich auf diese Weise nicht erreichen. So schrieb ich den "Guten Tag" auf ein Stück Papier und überreichte es ihr freundlich. Sie zerriss das Blatt und sagte, dann könnten wir doch sprechen. Ab diesem Moment haben wir uns außerordentlich über jedes Zusammentreffen gefreut. Viele Dinge, die wir mit unserer Arbeit bewirken konnten, haben mit einem Gruß begonnen. Aber allein das Grüßen ist schon "Gold wert".
Unsere kulturelle Tätigkeit
Sie begann mit Thomas Wiegel. Wir nennen hier seinen Namen, weil wir ihm viel verdanken. Herr Wiegel ist inzwischen verstorben. Wir denken, dass es in seinem Sinn ist, ihn hier namentlich zu nennen. Wir hatten als Kinder den gleichen Schulweg. Er war ein witziger Junge mit großem Mundwerk. Es folgten in seiner Biographie Schicksalsschläge, Abstürze, Alkohol. Er hatte zu kämpfen. Als er gerade einmal über vierzig Jahre alt war, kamen wir überein, dass er uns kleine Texte, die er verfasst hatte, "Geschreibsel", wie er sie nannte, zukommen ließ. Anerkennung und kritische Anmerkungen taten ihm diesbezüglich gut. Er ging zum Rathaus unserer Stadt und erzählte davon. In Folge wurde unserem Verein nach einem längeren Gespräch vonseiten der Stadtverwaltung die Möglichkeit gegeben, in den Räumlichkeiten einer Wohnungslosenunterkunft Kultur zu betreiben. Herr Wiegel hat sich weiterhin engagiert, soweit es seine Gesundheit zuließ.
Inzwischen gibt es viele Angebote unseres Vereins in diesem Wohnungslosenheim. Zum Beispiel geben wir dort Ernährungstipps für die Gesundheit durch eine Mitarbeiterin, die die Rezepte wöchentlich mit den Bewohnern in einem Kochkurspraktisch umsetzt. Ein Ernährungsberater, Elmar Clermont, stellt uns in seiner Freizeit sein Wissen unentgeltlich zur Verfügung. Von der Wittener Tafel e. V. erhalten wir seit Jahren Lebensmittel, die wir dann in unseren Räumen weiter verteilen und bei der Auswahl beratend zur Seite stehen, insbesondere da Obst und Gemüse nicht sehr weit oben auf der Rangliste stehen. Um die Blicke über den gewohnten Tellerrand zu erweitern, bewegen wir die Bewohner zu Ausflügen in kleine Restaurants der Stadt und zu lokalen Veranstaltungen.
Des Weiteren steht die Eurythmie auf unserem Programm. Unsere Eurythmistin hatte schon als junge Frau Erfahrungen in diesem Bereich und konnte schnell das Vertauen unserer Menschen erringen.Dass in diesen Räumlichkeiten ein derartiges Maß an Konzentration herrschen könnte, hatten wir uns nicht vorstellen können.
Japanischkurse, Besuche von Musikern, Künstlerinnen, Künstlern und Handarbeiterinnen. Die GLS Treuhand Bochum, die Gesellschafter (Aktion Mensch), die Rotarier, der Lions Club und andere, aber auch manche lokale Geldinstitute und Einzelpersonen helfen uns, die weitgestreuten Tätigkeiten zu ermöglichen. Über unsere Tätigkeiten im Wohnungslosenheim haben wir eine Reihe von anderen Aufgaben in den Bereichen der armen Bevölkerung. Oft sind es Krankentransporte, finanzielle Hilfen bei der medizinischen Versorgung, Besuche in Krankenhäusern, im Justizvollzug und viele andere Aufgaben, die z. B. in einer intakten, bäuerlichen oder dörflichen Lebensgemeinschaft zu den selbstverständlichen nachbarschaftlichen Hilfestellungen gehören würden.
Fazit aus unserer Tätigkeit: nehmen wir Anteil an dem Leben der Menschen unserer Nachbarschaft und trauen wir uns …
Mitwirkende: Ute Kiczka, Harald Kiczka, Beate Schmadel, Hisako Jaudszus, Deborah Stalling, Margit Wiesel. Ein Dank gilt dem "Ruhrpott-Agenten" Peter Romahn mit seiner Werkstatt für anfängliche Sozialkunst für seine Anregungen.
HILFE DIREKTe.V. gemeinnützig in WITTEN
Kontakt:Ute Kiczka-Am Busche 105-58455Witten
Telefon: 02302/23283Anrufbeantworter und Fax: 01212-5-114-30-360Im Internet unter: www.hilfedirekt.beep.de